Event

Samstag 28.08.2010

ensemble für neue musik zürich

28. August 2010, 20:30 Uhr

«Brouillage/Bruitage» James Joyce als musikalische Inspiration

Hans-Peter Frehner, Flöte
Manfred Spitaler, Klarinette
Viktor Müller, Klavier
Lorenz Haas, Schlagzeug/Stimme
Urs Bumbacher, Violine
Nicola Romanò, Violoncello
Anna Trauffer, Kontrabass/Stimme
Philipp Schaufelberger, el. Gitarre
Daniel Mouthon, Stimme

«Proteus» für Kontrabass (1999, revidiert 2002),
«Hades» für Klavier (2000, revidiert 2003), UA
«Penelope» für Altflöte (2003) UA
«Circe» für Schlagzeug (2010) UA

Das ensemble für neue musik zürich widmet sich ausschliesslich dem zeitgenössischen Musikschaffen. Die Musiker/innen planen und konzipieren ihre Programme in eigener Regie. Im Bedarfsfall wird die Stammformation um zusätzliche Sänger/innen und Instrumentalist/innen erweitert. Jahrelange, kompromisslose und selbstbestimmte Arbeitsweise sowie eine unkonventionelle Programmgestaltung führte schliesslich zum Erfolg. Jedes Projekt, jede künstlerische Entscheidung und auch die finanziellen Vermarktungsrisiken werden von den Musiker/innen gemeinsam getragen.

Am 2. Februar 1922, rechtzeitig zu James Joyce’ 40. Geburtstag, erschien im Pariser Verlag Shakespeare & Co. der Roman «Ulysses». Ein Werk von einmaliger Komplexität und Beziehungsfülle. Eine singuläre Erscheinung, die Epos, Chronik, Drama, Reportage, Essay und Entwicklungsroman zugleich ist. «Ulysses» ist wie eine Irrfahrt im 20. Jahrhundert und bildet das moderne Gegenstück zu Homers «Odyssee». Joyce travestierte darin Motive und Gestalten, und einige Portraits waren böswillige Karikaturen, mit parodistisch-verfremdeten Zügen, angehäuft mit komischen und abwechslungsreichen Sprachabenteuern. Joyce misstraute der traditionellen Form des Romans: ständig unterlief er Erwartungshaltungen und schilderte stattdessen das Wunderland des Alltags mit all seinen Zerstreutheiten, Gedankensprüngen, Zufällen, unerwarteten Begegnungen, Erinnerungen, Frustrationen und kleinen Glücksgefühlen.

«Brouillage / Bruitage» von Michael Heisch ist ein Zyklus von Kompositionen, die variabel angeordnet und zu Solo-Stücken und/oder zu Ensemble-Formationen gespielt werden können. Die Kompositionen bilden eine laufende Arbeit, welche nicht abgeschlossen ist und in wechselnder, kaleidoskopischer Wahrnehmung fortgesetzt wird.

Proteus - für Kontrabass
In der griechischen Sage ist Proteus ein Meergott, der die Zukunft vorhersagen kann. Menelaos wandte sich an ihn, um eine Weissagung von ihm zu erhalten. Aber Proteus suchte sich durch allerlei Verwandlungen dieser Aufgabe zu entziehen. Joyce experimentierte im Kapitel Proteus mit mehreren Ebenen: Einerseits stellte er durch die Beschreibung eine künstliche Realität her, die es so vielleicht nie gegeben hat; er entführt den Leser in eine Scheinwelt. Der Romanheld Stephen Dedalus stapft durch eine vom Autor durch Worte geschaffene Strandlandschaft. Zugleich grübelt dieser Held über Sein und Schein nach und «prüft mit geschlossenen Augen» Aristoteles’ Auffassung von Raum und Zeit.

Dabei scheint das Wechselspiel aus äusseren Eindrücken und inneren Monologen kein Ziel vor Augen zu halten und mehr dem Zufall als einem erkennbaren Muster zu gehorchen. Und doch gibt es ein Grundthema: die Frage nach der Identität in einer Welt, die in ständigem, proteushaftem Wandel begriffen ist.

Hades - für Piano
Leopold Blooms Gedanken umkreisen unter anderem «die letzten Dinge» in einer manchmal skurrilmorbiden Art («... kann man die Stimme der Toten konservieren...?»). Musikalisch wird das Thema «Verschwinden» verschiedenartig untersucht und beleuchtet. Ausgehend von bestehendem Klangmaterial, welches mathematisch-statistisch angeordnet ist und mit Hilfe von vorgegebenen Formeln subtrahiert wird.

Circe - für Schlagzeug
Ein Kapitel voller phantastischen Halluzinationen. Die beiden Romanfiguren Bloom und Dedalus befinden sich in Bella Cohens Bordell im red-light district Dublins. Wie Circe die Gefährten des Odysseus in der Odyssee in Schweine verwandelt, werden hier durch die Macht der Puffmutter die untersten, dreckigsten Seelenschichten der beteiligten Personen nach oben gekehrt.

Penelope - für Flöte
Weder Anfang noch Schluss: Im Penelope-Kapitel redet die weibliche Hauptfigur Molly ohne Punkt. Ihre Gedanken sind ein einziger, langer Fluss oder eher ein reissender Strom, der eine Unmenge Treibgut befördert. Das Hauptthema: «Menschlich-allzumenschliches», ihre ständige Untreue, Selbstgespräche über Männer, die fast immer zugleich auch ihre Liebhaber waren. Mollys Monolog beginnt und endet mit dem Wort «Ja». Wenn es so etwas wie eine Botschaft im «Ulysses» gibt, so ist es dieses Ja: Ja zum Leben in seiner Flitterhaftigkeit, seinen kurzen Momenten der Erkenntnis und der Schönheit, seinen ungestillten Sehnsüchten und seltenen Erfüllungen.