camerata variabile basel "Von Bach bis Bildersturm"

Konzert

Sonntag 11.12.2011

camerata variabile basel "Von Bach bis Bildersturm"

Isabelle Schnöller, Flöte
Karin Dornbusch, Klarinette
Helena Winkelman, Violine
Bogdan Bozovic, Violine
Raphael Sachs, Viola
Christoph Dangel, Violoncello
Stefka Perifanova, Klavier

Am ersten Abend der Saison “STURM" geht die Camerata Variabile mit Werkkombinationen aus 5 Jahrhunderten der Frage nach, ob es auch in der Musik Momente des Bildersturms gab. Denn in jeder Kunstform, die Ausdruck eines geistigen Inhaltes ist, muss es durch historische Gegebenheiten Umstürze geben, in denen sich die künstlerische Form den veränderten Inhalten anpasst: Von Bach bis Bildersturm - Willkommen!

Ausgehend vom In Nomine (deo) der Renaissance, das jeder Komponist dieser Epoche meist zu Beginn einer Laufbahn schrieb und damit sein Schaffen in den religiösen Kontext seiner Zeit stellte, befasst sich die camerata variabile basel an ihrem Eröffnungskonzert mit dem sakralen Hintergrund von Musik. Wir gehen dabei den Fragen nach, ob es eine musikalische Ikonographie gibt, und was es mit dem Bildersturm in der Musik auf sich hat.

Immer paarweise hintereinander werden zwei Werke gespielt: eines, das durch seine Bekenntnishaftigkeit den Platz einer musikalischen Ikone einnehmen könnte, und ein zweites, welches das erstere durch seine Reduktion und Abstraktion auflöst, abstrahiert, sublimiert oder hinterfragt.

Anonymus (14. Jh.)
Upon La-Mi-Re
Improvisationsvorlage aus der Renaissance
Fassung für Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello

Johan Halvorsen (*1935)
Passacaglia für Violine und Viola
über ein Thema von G. F. Händel

Salvatore Sciarrino (*1947)
Sei quartetti brevi (1971) für Streichquartett

John Taverner (1490 - 1545)
In nomine (1528) à 4
Fassung für Klarinette, Flöte, Violine, Viola

Bryn Harrison (*1969)
In Nomine (2004) nach William Byrd (1543 - 1623)
für Streichtrio, Altflöte, Bassklarinette und Klavier

Arvo Pärt (*1935)
Psalom für Streichquartett

Arman Gushchyan (*1981)
HAIKU I (2011) für Streichtrio und Flöte
Uraufführung

Krzysztof Penderecki (*1933)
Quartett (1993)
für Klarinette, Violine, Viola und Violoncello

Pausenmusik: Mauricio Kagel «Schwarzes Madrigal»

Johann Sebastian Bach (1685 - 1750)
Kunst der Fuge: Kontrapunkt 4 BWV 1080 (1740)
zu 4 Stimmen, Streichquartettbesetzung

Alfred Schnittke (1934 - 1998)
Klavierquintett (1972-76)

Es ist bei diesem Programm meistens so, dass das zweite Stück dieser Paarungen jüngeren Datums ist und – das war eine Bedingung – dass die beiden Komponisten weltanschaulich etwa aus dem gleichen Kontext stammen.

Beim Betrachten der immer wieder vorkommenden «Bilderstürme» in der Geschichte ist es auffällig, dass diese immer aus Perioden der geistigen Dekadenz und des damit einhergehenden Missbrauchs der Kunst für politische Belange entstanden sind. Es scheint, dass der Bildersturm eine nötige kollektive Korrektur der künstlerischen Repräsentationsmittel ist, wenn sich deren Inhalte zu sehr verändert haben. Dazu gehört der Bildersturm anlässlich der Reformation im 16. Jahrhundert genauso wie der künstlerische (und religiöse) Bildersturm des Kommunismus. Dazu gehört auch der nach dem zweiten Weltkrieg von Adorno proklamierte Bildersturm in der klassischen neuen Musik: Bildersturm im weiteren Sinne gefasst ist ein häufiges Phänomen.

Eröffnet wird der Abend durch ein anonymes Werk aus dem 14. Jahrhundert, welches aus einem einfachen, repetierenden Bass und einer sehr differenzierten Cantus-Linie besteht. Nach abwechselnder Improvisation der camerata variabile basel über diesen Bass, folgt ein weiteres Werk, das eine sich wiederholende Basslinie verwendet: Halvorsens berühmte Passacaglia über ein Thema von Händel. Ab- und aufgelöst wird diese Ikone der Virtuosität von dreien der sieben kurzen Quartette des Sizilianers Salvatore Sciarrino – ein Zeitsprung von 540 Jahren, der die grosse Geste bei Händel in ein Flüstern verwandelt.

Die nächste Gruppe besteht aus dem frühesten und berühmtesten In nomine, welches aus der 1528 geschriebenen Messe Gloria tibi Trinitas von John Taverner stammt. Auf dieses Werk folgt das In Nomine des jungen Engländers Bryn Harrison, einem Komponisten, dem Bilder sehr wichtig sind und der sich hier in die Tradition Byrds stellt. Seine Komposition erweckt den Eindruck einer Klangruine – im positiven Sinne: Byrds Melodien scheinen wie aus der Vergangenheit an unsere Ohren zu dringen, durch die Zeiten von Laub und Spinnweben überlagert und verhüllt. Eine schöne Form der Reminiszenz an den altenglischen Grossmeister.

Danach stehen sich die wohl extremsten Gegensätze gegenüber: Der Psalom von Arvo Pärt in dem für ihn typischen auf Dreiklängen basierenden Tintinnabuli-Stil. (von lat. «Glöckchen») und die Uraufführung des jungen, auch aus der russischorthodoxen Tradition stammenden Komponisten Arman Gushchyan. Dieser sagt zu seiner Haiku-Vertonung: «Die dem Haiku zugrunde liegende Weltanschauung ist sehr eng mit der Natur verbunden, und damit, wie sich die Menschen dieser Kultur in der Welt wahrnehmen – nämlich als Teil eines natürlichen Prozesses mit seinen Gesetzen. Dies steht im Gegensatz zu der jüdisch-christlichen Weltanschauung, wo alles persönlich ist und wo Liebe und Freiheit viel mehr Bedeutung haben, als das Naturgesetz. Diese Überlegung führte mich zu etwas zurück, das ich bereits viel früher begonnen hatte: das Persönliche durch das Gegebene zu äussern ... sodass die Bewegung eher in Richtung vom Objekt zum Subjekt, anstatt vom Subjekt zum Objekt. geht. So habe ich die Beobachtung als Prozess in den Vordergrund gestellt und den persönlichen Ausdruck in den Hintergrund.»

Pendereckis Klarinettenquartett beschliesst den ersten Teil. Dass er sich mit seinem Werk Credo offiziell zum katholischen Glauben bekannte, war im Polen des Kommunismus ein mutiger Schritt: biblische Texte zu verwenden war offiziell verboten. Er unterstützte zudem den Freiheitskampf von Kirche und Solidarnosc. Trotzdem blieb Penderecki während des Kommunismus relativ unbehelligt. Den in Danzig umgekommenen Werftarbeitern widmete er sein Lacrimosa. Es war seine Form von Protest. «Käme ich aus einem anderen Land hätte ich das vielleicht nicht getan», sagt Penderecki heute. Insofern sind die geistlichen Kompositionen wohl seine polnischsten Werke. Penderecki ist gläubig, aber kein praktizierender Katholik. Alles Dogmatische stört ihn, in der Musik wie im Glauben. Im Übrigen ist er ein leidenschaftlicher Gärtner. Auf seinem Anwesen in der Nähe von Krakau hat er 1.500 Bäume gepflanzt.

Von Bach sagt man, dass er niemals eine Musik von solchem innerem Reichtum hätte schaffen können ohne die vorhergehende Zerschlagung der Repräsentation des Glaubens in Bild und Skulptur, dem Bildersturm der Reformation. So steht ein vierstimmiger Kontrapunkt aus der Kunst der Fuge nicht als Beispiel für einen Bildersturm sondern als Folge davon. Schnittke, der nicht nur klassische Kammermusik sondern auch Filmmusik schrieb und Gesualdo zum Thema einer seiner Opern machte, wurde 1934 geboren. Als Sohn eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter liess er sich erst 1982 von der katholischen Kirche taufen. Für ihn war dieser Schritt nach eigener Aussage ein wichtiger und folgerichtiger, obwohl er selbst erstaunt war, dass er diesen nach all den in seinem Leben durchlaufenen Phasen der Skepsis noch machen konnte. Viele seiner Werke sind Bilderstürme in sich selbst. Sein Klavierquintett ist eines seiner kammermusikalischen Meisterwerke, welches nicht über den Stilpluralismus verfügt, für den Schnittkes Musik sonst so bekannt ist.